Gesundheitspoltik von rechts: „Die AfD flutet die Tagesordnung“
Die AfD setze mit einer neuen Strategie auf Gesundheitspolitik, beobachtet der grüne Abgeordnete Janosch Dahmen. Dafür gebe es prominente Vorbilder.
taz: Herr Dahmen, die Gesundheitspolitik gilt als hochkomplex und betrifft doch jeden einzelnen Menschen in Deutschland. Inwiefern eignet sie sich für populistische Politik?
Janosch Dahmen: Gesundheitspolitik eignet sich deshalb so gut, weil sie mit konkreten Alltagsproblemen der Menschen verknüpft ist. Die Menschen merken ja überall im Land, dass es schwierig ist, einen Arzttermin zu bekommen. Sie machen sich Sorgen, weil durch die Veränderung der Krankenhauslandschaft Kliniken nicht mehr aufrechterhalten werden können. Sie machen sich Sorgen, weil die Pflege im Alltag nicht funktioniert. Die Leute merken, die Dinge laufen nicht so, wie sie eigentlich laufen müssten. Und die Partei, die gerade anfängt, das für eine populistische Skandalisierung auszunutzen, ist die AfD.
taz: Warum gerade jetzt?
Dahmen: Die neue Gesundheitsministerin agiert bisher über den Bereich der fehlenden Fachlichkeit und Einarbeitung hinaus sehr verzagt und mutlos. Und es ist erkennbar, dass die AfD diese Zögerlichkeit ausnutzt. Sie kopiert ganz konkret Teile der vorliegenden Vorschläge und lädt sie mit dem populistischen Narrativ auf, dass die demokratischen Parteien insgesamt unfähig seien, Lösungen und Entscheidungen zu treffen, und inszeniert sich selbst als einzige Alternative. Sie folgt damit einem Muster, das wir von anderen Rechtspopulisten in Europa kennen.
taz: An wen denken Sie?
Dahmen: Boris Johnson hat unhaltbare Zustände im britischen Gesundheitssystem NHS skandalisiert, um den Brexit damit durchzusetzen. Groß wurde plakatiert, dass Großbritannien jede Woche 350 Millionen Pfund für die EU ausgibt – Geld, das besser im Gesundheitssystem investiert wäre … Und die AfD macht es jetzt mit unserem Gesundheitssystem sehr ähnlich. Man kann auch erkennen, dass sie dabei die Strategie geändert hat. In der Vergangenheit hat sie Gesundheitspolitik fast ausschließlich mit Kernthemen des Rechtspopulismus wie Antimigrationspolitik oder einer Skandalisierung der Pandemiepolitik verknüpft. Jetzt nutzt sie die gesamte Breite der Gesundheitsthemen, um Untätigkeit des Regierungshandelns vor sich herzutreiben.
taz: Wo sehen Sie das konkret?
Dahmen: Das materialisiert sich seit dem Ende der Sommerpause ganz konkret in parlamentarischen Initiativen. Ich sehe aktuell keine Fraktion im Bundestag, die jede Woche so viele gesundheitspolitische Initiativen einbringt wie die AfD. Sie flutet förmlich die Tagesordnung des Gesundheitsausschusses und auch des Parlaments mit Anträgen und Gesetzesinitiativen. Und wie gesagt, sind das nicht unbedingt Themen, die man klassischerweise im Rechtspopulismus und bei der AfD verortet: Überlebenschancen von Dialysepatienten verbessern, Psychotherapeuten bedarfsgerecht ausbilden. Sterblichkeit in Deutschland senken. Lieferengpässe bei Arzneimitteln verringern.
taz: Ist das reine Skandalisierung oder sehen Sie eine ernstzunehmende gesundheitspolitische Expertise in der AfD?
Dahmen: Mein Eindruck ist, dass die AfD sich teilweise thematisch tief eingearbeitet hat. Aber die Strategie ist im Prinzip die: Sie nutzt Lösungsansätze, die bereits vorliegen, aber nicht umgesetzt werden, um es dann so darzustellen, als würden damit alle Probleme gelöst. Verknüpft mit der Erzählung: Es könnte so einfach sein, warum kriegt es diese Regierung nicht hin? Vielleicht weil sie gar nicht will? Weil sie nicht im Interesse der Bürgerinnen und Bürger handelt, sondern irgendwelcher dubiosen anderen Mächte? Genau das ist das Narrativ, mit dem die AfD versucht, unsere Gesellschaft zu spalten und demokratische Parteien zu diskreditieren. Und die Union hat noch immer nicht in aller Konsequenz verstanden, dass das nicht nur ein Problem der anderen Parteien ist, sondern dass die Spaltung der Union das Hauptziel der AfD ist.
taz: Was würde aus Ihrer Sicht jetzt helfen?
Dahmen: Entscheidend wäre, dass jetzt mit kurzfristig beschlossenen Gesetzen wichtige Probleme im Alltag angegangen werden. Ich glaube gar nicht, dass es die Erwartungshaltung des Personals und der Patientinnen und Patienten ist, dass mit einem Federstrich alles besser ist, sondern dass deutlich wird, dass weitreichende Entscheidungen getroffen werden, die unter Umständen auch Zeit brauchen, bis sie wirken. Das betrifft eine Notfall- und Rettungsdienstreform, Maßnahmen gegen den ungebremsten Preisanstieg bei patentgeschützten Arzneimitteln oder zur Steuerung der Terminvergabe. All diese Elemente sind bereits von der letzten Regierung in Gesetzen vorbereitet, es gab einen breiten Konsens, sie müssen nicht mehr in Kommissionen bewertet, sondern können zur Beschlussfassung aufgesetzt werden. Das würde helfen, die Möglichkeit der Skandalisierung zu egalisieren, bevor sie sich weiter entfacht.
taz: Haben Sie Hoffnung, dass das passiert?
Dahmen: Fast jeden Tag hört man aus unterschiedlichen Reihen der Union neue Vorschläge zur Lösung der Probleme im Gesundheitssystem, die nicht zu Ende gedacht sind und eher der AfD nützen. Ich erkenne aber in diesem Muster, dass die Union selbst weiß, dass man keine vier Jahre in der Gesundheitspolitik mit dieser Verzagtheit und Mutlosigkeit durchhalten wird.
taz: Und was tun Sie von der Oppositionsbank aus?
Dahmen: Wir werden dieser großen Flut an Anträgen der AfD jetzt eine Serie parlamentarischer Initiativen entgegenstellen, die auch beinhalten, wie die Probleme im Detail lösbar sind, und die hoffentlich den Druck auf Regierungshandeln erhöhen. Dass wir nach vier Jahren an einer Stelle stehen, wo Rechtspopulisten gestärkt sind, die Lage der Patientinnen und Patienten noch prekärer ist und das Personal völlig am Krückstock geht – das darf nicht passieren.
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